Overstretching beschreibt in der Astrofotografie das Überziehen von Helligkeitswerten während der Bildbearbeitung – insbesondere im Bereich des Histogramm-Stretchings. Ziel des Stretchings ist es, schwache Strukturen wie Nebel oder Galaxienarme sichtbar zu machen, indem man die linearen Rohdaten in eine für das menschliche Auge wahrnehmbare Form überführt. Beim Overstretching wird diese Anpassung jedoch übertrieben, sodass Details verloren gehen, Artefakte entstehen oder das Bild unnatürlich wirkt.


Was bedeutet „Stretching“ überhaupt?

Moderne Astro-Kameras zeichnen Bilder meist im linearen Format auf. Das bedeutet: Die Helligkeitsverteilung ist physikalisch korrekt, aber extrem kontrastarm. Ein typisches RAW-Bild eines Deep-Sky-Objekts zeigt am Anfang nur ein paar helle Sterne auf dunklem Hintergrund – Nebel oder Galaxien sind fast unsichtbar.

Stretching (z. B. mit PixInsight, Photoshop, Siril, GIMP) bedeutet, dass man die dunklen Bildbereiche anhebt und den Kontrast so erhöht, dass schwache Strukturen sichtbar werden – ohne dass die hellen Bereiche zu schnell in die Sättigung laufen.

Ein gutes Stretching basiert auf einem ausgewogenen Histogramm, bei dem die Tonwerte sorgfältig verteilt sind. Beim Overstretching wird diese Balance verletzt.


Ursachen für Overstretching

  1. Zu starkes Anheben der Mitteltöne (Midtone Stretching)
    – führt zu „milchigem“ Himmel ohne echtes Schwarz

  2. Clipping der Highlights
    – helle Sterne oder Nebelkerne brennen aus, Details gehen verloren

  3. Banding und Artefakte
    – durch Verstärkung des Rauschens in flachen Bereichen

  4. Unnatürliche Farben oder Kontraste
    – vor allem bei Schmalbandbildern oder künstlicher Farbzuweisung

  5. Fehlende Kontrolle des Histogramms
    – z. B. durch aggressive Anwendung von „Curves“, „Levels“ oder unkontrollierten Auto-Stretchs


Visuelle Symptome von Overstretching


Praxisbeispiel

Beim Bearbeiten eines linearen Bildes aus dem Orionnebel (M42) kann es leicht passieren, dass der helle Nebelkern überdehnt wird. Ohne Maskierung oder HDR-Technik brennt der zentrale Bereich aus – es bleiben nur weiße Flächen ohne jegliche Struktur.

Mit gezieltem Stretching und Maskierung ließe sich der Kern retten, während die Außenbereiche hervorgehoben werden. Overstretching ignoriert diese Balance – das Ergebnis ist ein plakatives, aber technisch fehlerhaftes Bild.


Strategien zur Vermeidung


Unterschied zu „Clipping“

Clipping“ beschreibt den technischen Zustand, dass Pixel vollständig schwarz oder weiß werden (Werte = 0 oder 255). Overstretching kann Clipping beinhalten, geht aber darüber hinaus: Es ist eine ästhetische und technische Überverarbeitung, bei der Bildinhalt verloren geht oder verfälscht wird – auch ohne formalen Datenverlust.


Fazit

Overstretching ist eine häufige Stolperfalle in der Astrofotografie – besonders für Einsteiger, die möglichst viele Details sichtbar machen wollen. Was als gut gemeintes Hervorheben schwacher Strukturen beginnt, kann schnell in überzogene, flache oder künstliche Bilder umschlagen. Wer sich mit Histogramm, Maskierung und adaptivem Stretching auseinandersetzt, kann aus linearen Rohdaten wesentlich mehr herausholen – und das mit deutlich besserer Bildqualität.

Ein gutes Astrofoto zeigt Details, Tiefe und Farben – ohne dabei die natürliche Dynamik und Struktur des Himmels zu verlieren. Das richtige Maß ist entscheidend.